DAS KLEINE GLÜCK
von Christine Sinnwell-Backes
Traurig saß das kleine Glück am Straßenrand und schaute den Menschen zu. Achtlos hasteten sie an ihm vorbei. Kaum jemand schien es zu bemerken. Alle waren sie zu beschäftigt, auf der Jagd nach Anerkennung, Geld und Wohlstand.
Und wenn einer nach dem Glück suchte, dann hielt er in der Regel Ausschau nach dem Großen, auch wenn das schwer zu finden war.
Oft versuchte das kleine Glück, auf sich aufmerksam zu machen. Es ließ kleine Blumen durch die dicke Asphaltdecke wachsen und hoffte, dass ihr Leuchten jemanden erfreuen würde. Doch meistens trat ein Fuß achtlos darauf.
Manchmal übte es mit den Vögeln ein besonders schönes Lied ein. Doch ihr Gesang ging im wütenden Hupen der Autos unter. Am ehesten fanden Kinder das kleine Glück. Sie entdeckten es in einer Handvoll sommersüßer Kirschen oder fanden es bei einer eiskalten, wilden Schneeballschlacht. Doch irgendwann, wenn sie ihren Kinderschuhen entwuchsen, verloren auch sie fast immer die Gabe das kleine Glück im Alltag zu entdecken.
Eines Tages legte sich ein Schatten über die Welt und schien alles zu verdunkeln. Die Menschen wurden ängstlich und sorgenschwer. Sie ahnten, dass ihnen schwierige Zeiten bevorstanden.
Auch das kleine Glück wurde ängstlich. Es sagte sich: Jetzt, in diesen dunklen Zeiten wird mich
gar niemand mehr finden. Und eine kleine Träne tropfte auf die Erde. Dort, wo sie hinfiel, wuchs eine besonders schöne Blume. Sie schimmerte bunt und leuchtete hoffnungsvoll.
Da bückte sich ein Mann und betrachtete die kleine Blume eine Weile. Mit Bedacht pflückte er sie und schenkte sie seiner Begleiterin. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf beiden Gesichtern aus.
Und das kleine Glück begriff: Gerade in den dunklen Zeiten, wurde es besonders gebraucht!
Eifrig begann es damit, kleine Momente der Freude zu verteilen. Und das Wunder geschah!
Die Menschen sahen das kleine Glück in einem Sonnenstrahl, der durch die Dunkelheit fiel. Sie fanden es in einem Stück Schokolade, das sie langsam in ihrem Mund zergehen ließen. Sie bemerkten es, in dem Angebot einander zu helfen oder in einem Brief, der von lieber Hand geschrieben wurde.
Dem kleinen Glück wurde es ganz warm ums Herz, wenn es das Lächeln auf den Gesichtern der Menschen sah. In solchen Momenten ahnten die Menschen, dass der Schatten irgendwann auch wieder verschwinden, und die Welt wieder heller würde.
Nur manchmal, wenn es an die Zukunft dachte, fragte sich das kleine Glück: Ob die Menschen mich auch dann noch sehen werden, wenn die Welt wieder heller ist?
Oder werden sie wieder achtlos an mir vorbei durchs Leben hasten?
Die Antwort auf diese Frage, gib du sie dem kleinen Glück.

Wie ist das mit dem Glücklichsein?