Um mal gleich eins klar zu stellen: Es geht nicht darum, ununterbrochen zufrieden zu sein, ins dicke lila Samtsofa einzusinken und grunzend festzustellen, dass alles gut ist, wie es ist. Zweifellos kann man mit vielem auf diesem Planeten einfach nur unzufrieden sein, und man kann sich auch mit Fug und Recht regelmäßig über sich selbst ärgern. Aber: Unserer psychischen Gesundheit täte es wirklich gut, wenn wir häufiger mit uns und unserer kleinen Welt zufrieden wären, wenn wir uns nicht ständig mit nagender Selbstkritik überzögen und auch mal Fünfe gerade sein ließen. Und dazu gehört es auch, unsere schlechte Laune, unsere Misserfolge, unsere Traurigkeit und unsere Fehlentscheidungen in unser Leben zu integrieren.

Wenn ich mal mies drauf bin, dann ist das eben so und okay 👌

Die Aufs und Abs der Gefühle bieten doch erst die Gelegenheit, das Leben in all seinen Facetten zu erfahren. Neulich sagte eine Bekannte, der ein wichtiges Projekt misslungen war, sie bräuchte therapeutische Hilfe, weil sie so enttäuscht sei. Nein!

Sie brauchte ihren Frust und ihre Enttäuschung. Enttäuscht sein passt doch wunderbar, wenn man gerade enttäuscht ist. Nur ist es wichtig, nach einer Weile der Enttäuschung auch wieder die Kurve zu kriegen und aus der Enttäuschung herauszufinden.

Zufrieden zu sein bedeutet eben nicht, dass man alles hinnehmen oder sogar resignieren soll. Ich kann zufrieden sein und trotzdem Pläne schmieden. Das sollte ich sogar. Aber dabei sollte ich mir überlegen, an welchen Fronten ich kämpfen kann – und wirklich will. Das Gute an der Zufriedenheit ist nämlich: Im Gegensatz zum Glück hab ich sie immer selbst in der Hand. Wenn man nicht gerade regelmäßiger Kokain-Konsument ist oder sich einen Bleistift zwischen die Mundwinkel legt, um dem Gehirn vorzugaukeln, dass man lächelt, dann kommen Glücksgefühle vor allem von außen: Ich bin glücklich, wenn ich etwas erreiche, für das ich mich angestrengt habe, wenn mir überraschenderweise etwas gelingt oder wenn mir unerwartet etwas Gutes passiert. Dann schüttet das Gehirn jede Menge Glückshormone aus.

Was sind eigentlich meine Ansprüche?

Zufriedenheit hingegen ist eine echte Leistung. Sie ist das Ergebnis von Denkprozessen. Ich ziehe Bilanz. Und je kleiner die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist, desto zufriedener bin ich.  Das aber heißt: Ich kann Zufriedenheit lernen! Und dabei kann ich auch gleich viel über mich selbst erfahren: Was sind eigentlich meine Ansprüche? Wo kommen sie her? Und ist das, was ich von mir und meinem Leben denke, überhaupt wahr?

Wenn die Bilanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in meinem Leben besser ausfallen soll, gibt es genau zwei Möglichkeiten: Entweder drehe ich am Wunsch oder an der Wirklichkeit. Der erste Weg ist der defensive Weg zur Zufriedenheit, bei dem ich meine Ansprüche mäßige, der zweite Weg der offensive, bei dem ich versuche, die Welt meinen Vorstellungen anzupassen. In unserer Leistungsgesellschaft ist der offensive Weg meist der favorisierte. Und vor allem für junge Menschen ist er auch oft der richtige. Aber der defensive Weg kann sehr viel klüger sein.

„Wie???“, fragte neulich ein Bekannter, „freiwillig kleinere Brötchen backen??!!“ Etwas von vornherein aufgeben? Na klar! Manchmal! Wenn das Ziel kein eigenes ist, sondern das der Eltern oder Partner. Wenn ich übertriebene Forderungen an das Schicksal stelle. Oder wenn ich weiß, dass ich mir ohnehin nur eine blutige Nase hole. Jemanden, der nicht aufgibt, mögen wir bewundern. Aber nur, solange er nicht gerade zum fünften Mal mit dem Kopf gegen die Wand rennt.

Auf Stärken bauen und nicht auf Schwächen!

Zufrieden ist also, wer weiß, wann es sich zu kämpfen lohnt. Ich kann mich täglich darüber ärgern, dass ich in diesem Monat wieder nur dreimal im Fitnessstudio war, obwohl ich doch ein Abo hat. Aber nützt das was? Nein. Was etwas nützt: Ehrlich mit mir sein. Ich wollte ganz offensichtlich nicht ins Fitnessstudio und habe stattdessen schöne Abende verbracht. Wenn ich immer nicht in die Puschen komme: Womöglich liegt das einfach daran, dass mir die Puschen gar nicht gefallen. Dann sollte ich sie abschaffen.

Zugegeben: Vorstellungen von sich und dem eigenen Leben loszulassen ist extrem schwierig. Schließlich werden dabei im Gehirn die gleichen Areale aktiviert wie wenn mir jemand körperlich weh tut. Die „Substanz P“ wird ausgeschüttet, „P“ wie „Pain“. Aber selbst so schmerzhafte Dinge wie Loslassen kann ich lernen. Eigentlich müsste es längst so ein Fach in der Schule geben.

Im Lehrplan könnte dann stehen: Lernt, euch auf eure Stärken zu besinnen, und nicht auf eure Schwächen. Baut aus, was ihr könnt, anstatt zu viel Energie in das zu investieren, was euch weder Freude noch Erfolg bescheren wird. Und trainiert jene Charakterstärken, die zufrieden machen: Hört nicht auf zu hoffen – übt Zuversicht, indem ihr eure Aufmerksamkeit auf schöne Erlebnisse lenkt. Seid neugierig auf das Leben, probiert euch aus, lasst euch auf neue Hobbys und Freizeiterlebnisse ein! Wer Neues erlebt, sammelt Erfahrungen, Kompetenz und Selbstbewusstsein, das macht nicht nur zufrieden, sondern auch stark und schlau. Seid hilfsbereit, sogar dann, wenn es euch gerade nicht so gut geht. Das gibt dem Leben einen Sinn. Und lernt, dankbar für das zu sein, was euch Positives widerfährt.

Sogar das schmerzhafte Loslassen kann ich üben – auch wenn es paradox klingt, ausgerechnet das angestrengt verfolgen zu wollen. Als könnte ich jemanden mit einem „Mach dich mal locker“ zur Entspannung bringen. Hilfreich ist die Strategie der kleinen Schritte, jeden Tag ein bisschen Anti-Perfektions-Training: Mal nicht alle Mails beantworten. Mal nicht perfekt vorbereitet zum Vortrag gehen. So übe ich. Und siehe da. Es klappt immer besser. Und sollte Ihnen der Text hier nicht ganz so gut gefallen haben, haben Sie gleich eine Gelegenheit zum Üben. Irgendwas Gutes haben Sie bestimmt darin gefunden, mit dem Sie einfach mal zufrieden sein können.

“Du selbst zu sein, in einer Welt, die ständig versucht, dich zu verändern, das ist der größter Erfolg überhaupt!“