Dich drückt der Schuh?

Vielleicht ist es noch der Kinderschuh.!

Für diesen Tag hatte ich ein Thema für die Sitzung mit meiner Klientin vorbereitet.„Ich wollte noch einmal über das „sich anstrengen“ mit Ihr sprechen. Als wir an unserem letzten Termin darüber geredet hatten, schien ihr alles sehr einleuchtend. Aber, als es dann darum ging, ihr Wissen in der Praxis anzuwenden, war es ihr einfach nicht möglich, das umzusetzen, was ihr in der Theorie so erstrebenswert vorgekommen war, meldete sie zurück. Sie müsse sich nur ein bisschen anstrengen und guten Willen zeigen, dann wäre alles nicht mehr so schlimm und ginge ihr alles leichter von der Hand,  hatte Ihr Partner zu ihr gesagt.

„Ich habe das Gefühl, dass es im Leben ohne Anstrengung einfach nicht geht. Und ich denke, dass das für jeden gilt. Hin und wieder, glaube ich, müssen wir uns alle ein bisschen ins Zeug legen“. meinte sie. „In gewisser Weise haben Sie recht“,sagte ich. Ich, für meine Person, habe einen beachtlichen Teil meiner Lebensjahre damit verbracht, diesem Prinzip der Anstrengung gerecht zu werden, und nicht immer hat es geklappt. Ich denke, das ist normal.

Der Gedanke und die Reflexion über die „Nichtanstrengung“ ist erstmal eine Herausforderung, eine Methode, ein Sport.

Und als solcher erfordert er auch Training. „Am Anfang hielt ich das auch für nicht machbar“, fuhr ich fort. Was würden die Leute von mir denken, wenn ich nicht zu dieser Veranstaltung ginge? Wenn ich nicht aufmerksam zu hörte, obwohl es mich einen feuchten Kehricht interessierte, was sie da sagten? Wenn ich mich dem Menschen, den ich eigentlich verachtete, nicht dankbar gegenüber zeigte? Wenn ich einfach nein sagte zu einem Antrag, den ich partout nicht zustimmen mochte? Wenn ich mir den Luxus erlaubte, nur vier Tage in der Woche zu arbeiten, und darauf verzichtete, mehr Geld zu verdienen? Wenn ich mich weigerte, mit dem Rauchen aufzuhören, bevor es mich nicht von selbst überkäme? Wenn…?

Doch irgendwann kam ich zu der Überzeugung, dass dieser Gedanke von der notwendigen Anstrengung nur eine gesellschaftliche Erfindung sei, die einer bestimmten Vorstellung entspringt, einem ideologischen Denksystem, dass ein sehr negatives Bild vom Menschen als sozialen Wesen hat. Klar, das der Mensch als das unentschlossene, bösartige, egoistische und gleichgültig Wesen , für das er gemeinhin gilt, sich ziemlich anstrengen muss, um sich zu bessern. Aber wer behauptet denn, dass der Mensch so ist?

„Jeder sollte sich eigene Vorstellung davon zu machen, was es heißen könnte, entspannt zu leben, eins mit sich selbst zu sein, ruhig und ohne Druck, ohne sich immer wieder fragen zu müssen: Was tu ich hier eigentlich?“

Aber wo anfangen?

Zu allererst müssen wir eine Regel außer Kraft setzen, die man uns schon als kleines Kind einimpft.

„Du musst nur wollen“ Diese Regel ist so tief in uns verankert, dass wir sie uns gänzlich zu eigen gemacht haben: es zählt nur das, was wir durch Anstrengung erreicht haben.

Das ist meiner Meinung nach Bullshit.

Jeder mit ein bisschen gesunden Menschenverstand weiß, dass das nicht stimmt, und dennoch richten wir unser Leben so ein, als wäre es eine die Anstrengung eine unbestreitbar Wahrheit.

Dazu eine kurze Geschichte:

„Das Syndrom vom zwei Nummern zu kleinen Schuh“

Ein Mann betritt einen Schuhladen, und ein freundlicher Verkäufer kommt auf ihn zu:

Was kann ich für Sie tun, mein Herr?

Ich hätte gerne ein paar schwarze Schuhe, genau wie die im Schaufenster.

Sehr gerne, mein Herr.

Sie tragen Größe …..41. Nehme ich an?

Nein. Größe 39, bitte.

Entschuldigen Sie, der Herr.

Ich bin seit 20 Jahren in dieser Branche, und sie müssten Größe 41 haben. Vielleicht 40, aber auf keinen Fall die 39.

Ich möchte Größe 39, bitte.

Darf ich freundlicherweise ihren Fuß messen? Messen Sie, so viel sie wollen, ich möchte ein paar Schuhe Größe 39.

Aus einer Schublade holt der Schuhverkäufer einen dieser seltsamen Apparate, mit dem man die Füße vermisst, und ruft mit Genugtuung aus: Sehen Sie, ich hab es doch  gesagt: 41!

Guter Mann, wer bezahlt denn die Schuhe, sie oder ich?

Sie! Also gut. Dann bring sie mir bitte ein paar in Größe 39.

Resigniert und verständnislos geht der Schuhverkäufer ein paar Schuhe in Größe 39 holen. Unterwegs geht ihm ein Licht auf. Die Schuhe sind nicht für den Mann, sondern sicherlich sollen sie ein Geschenk sein.

Bitte, mein Herr, das sind sie: schwarz, Größe 39.

Haben Sie einen Schuhlöffel?

Sie wollen sie anziehen?

Ja, natürlich.

Dann sind Sie also für sie bestimmt?

Für wen denn sonst? Ein Schuhlöffel bitte!

Um diesen Fuß in den Schuh zu quetschen, ist ein Schuhlöffel unabdingbar. Nach mehreren Anläufen und unter den absurdesten Verrenkungen gelingt es dem Kunden, den ganzen Fuß in den Schuh zu zwängen. Und der Schmerz, und Wehgeheul geht ein paar beschwerlichen Schritte auf dem Teppich. Fabelhaft. Ich nehme sie.

Beim Gedanken an die zusammengequetschten heißen Zehen in den neununddreissiger Schuhen bekommt der Verkäufer Fußweh.

Soll ich sie Ihnen einpacken?

Nein, danke. Ich behalte sie gleich an.

Der Kunde verlässt das Geschäft und läuft, so gut es geht, die drei Häuser Blocks bis zu seiner Arbeitsstelle. Er ist Kassierer in einer Bank. Um vier Uhr nachmittags, nachdem seine Füße mehr als sechs Stunden in diesen Schuhen gesteckt haben, steht ihm der Schmerz ins Gesicht geschrieben, seine Augen sind gerötet, und Tränen fließen ihm über die Wangen. Der Kollege an der Nachbarkasse hat ihn den ganzen Nachmittag über mit wachsender Sorge beobachtet.

Was ist los mit dir? Geht’s dir nicht gut?

Doch, doch. Es sind nur die Schuhe.

Was ist denn mit deinen Schuhen?

Sie drücken.

Wieso? Sind sie nass geworden?

Nein. Sie sind zwei Nummern kleiner als mein Fuß.

Wessen Schuhe sind es denn?

Meine.

Das soll einer verstehen. Tun dir die Füße nicht weh?

Sie bringen mich fast um, meine Füße.

Wie jetzt?

Also gut, ich erkläre es dir, sagt er und schluckt: mein Leben hat nicht gerade viel Erfreuliches zu bieten. Eigentlich hat es in der letzten Zeit nur ganz wenige angenehme Momente gegeben.

Und?

Diese Schuhe bringen mich um. Natürlich leide ich höllische Qualen, aber wenn ich in einer Stunde nach Hause komme und sie ausziehe….

Was glaubst du, was das für ein Wohlgefühl ist. Das reine Vergnügen. Ein wahrer Genuss.

Scheint verrückt, oder?


Ist es auch. Das ist im großen und ganzen die Regel, nach der wir erzogen worden sind. Ich muss nur wollen und dann klappt und passt das schon. Ich weiß, dass auch meine Haltung eine extreme ist, trotzdem lohnt es sich einmal in sich hinein zu schlüpfen wie in einen Anzug, um zu sehen ob sie uns steht.

Ich glaube nicht, dass es irgend etwas wirklich Wertvolles gibt, das man mit Anstrengung erreichen kann.

Sich anstrengen? Ja, muss man, wenn man Verstopfung hat.