Wer glaubt, er könne sein Leben durch eine einzige Entscheidung ruinieren wird dies auch tun:

Ein Lehrer aus Frankfurt heiratet eine Kollegin, er ist Anfang 30, sie Ende 20. Sie bekommen zwei Kinder, bauen ein Haus. Zwei Monate, nachdem sie von der eigenen Mietwohnung in das neue Haus gezogen sind, passiert es: der Mann verliebt sich in die neue Kollegin. Er schläft mit ihr, die Affäre kommt heraus, seine Frau trennt sich von ihm und bittet ihn auszuziehen. Er zieht in eine winzige 1,5 Zimmerwohnung, zusätzlich zur Miete muss er noch das Haus abbezahlen, in dem er nicht mehr wohnt. Gleichzeitig muss er feststellen, dass ihn mit der Kollegin eigentlich nichts verbindet außer Sex, schon nach wenigen Wochen ist die Affäre beendet. Nun hat er das Gefühl, sich mit der Entscheidung, mit der neuen Lehrerin ins Bett zu gehen, das ganze Leben versaut zu haben. Doch die entscheidende Frage ist, ob er die gleiche Entscheidung bereuen würde, wenn sich herausgestellt hätte, dass die Kollegin die Liebe seines Lebens ist. Mit anderen Worten, er muss sich fragen, ob es zulässig ist, sich vom Leben ungerecht behandelt zu fühlen, wenn es durch seine Entscheidung immerhin die Chance gab, dass er am Ende glücklicher ist als vorher. Ein Lebenskünstler lässt sich davon nicht ins Bockshorn jagen, was bei seinen Entscheidungen herauskommt wir müssen immer mit den Auswirkungen unserer Entscheidung leben, die wir zu einem Zeitpunkt getroffen haben, als wir es nicht besser wussten. Das ist auch nicht ungerecht, denn es geht ja jedem so. Es zählt also die Güte der Entscheidung, nicht das Ergebnis.

 

Es wäre ein armseliges Leben, wenn man sich  selbst und sein Glück immer nur vom Ergebnis seine Entscheidungen abhängig macht. Sich bestimmte Ergebnisse oder Erlebnisse zu wünschen, macht einem zum Spielball der Ereignisse – zumal man damit das Entscheidende verpasst: Nämlich das, was gerade passiert – ob wir uns das nun gewünscht haben, oder nicht. Hinterher wissen wir immer besser, wie wir es eigentlich hätten machen sollen; der einzige Trost ist, dass von dieser Tatsache niemand verschont bleibt. Bekannt ist das Bild des amerikanischen Philosophen Joseph Campell, mit dem er die Absurdität des menschlichen Lebensweges beschreibt: „während unserer ersten 35 oder 40 Lebensjahre haben wir uns bemüht, eine lange Treppe hinaufzusteigen, um den obersten Stock eines Gebäudes zu erreichen. Sind wir dann endlich unterm Dach, stellen wir fest, dass wir uns im Gebäude geirrt haben“. Die entscheidende Frage lautet also, was wir da oben auf dem Dachboden des falschen Gebäudes machen sollen. Und grämen, die Haare raufen, uns bemitleiden? Oder lieber Freunde einladen und eine Party feiern?

Ob sich mein Leben selbstbestimmt anfühlt, hängt gar nicht so sehr davon ab, WAS ich tue, sondern viel mehr davon, WIE ich das bewerte, was passiert. Und vor allen Dingen davon, wie ich das bewerte, was andere haben und erleben.

 

 

R. Niazi-Shahabi2019: Mir steht alles offen, ich find nur nicht die Tür. Piper Verlag S.48-53