Lieber Opfer statt Feigling:

Veränderungsresistenz

Es gibt nichts natürlicheres, als sich zu verändern, und gleichzeitig gibt es nichts Gefährlicheres. Du willst nicht. Du sagst, du kannst nicht, um dein Gewissen zu beruhigen und es gegenüber dir und anderen besser vertreten zu können. So stehst du zumindest nicht als Feigling da, sondern eher als Opfer. Ich weiß, das tut weh. Aber es kann jetzt, während du diese Zeilen liest, nur wehtun, weil es bereits in dir schmerzt und das vielleicht schon seit vielen Jahren. Es lebt sich leichter, wenn man ein Opfer ist. Niemand möchte mit einem Feigling etwas zu tun haben, auch nicht mit einem unkontrollierbaren Überflieger. In unserer Gesellschaft erhält man als Opfer sehr viel Aufmerksamkeit und die anderen behandeln einen auf eine schonende Art und Weise. Das wirkt sich meiner Meinung nach zerstörerisch auf unser Potenzial und unsere Eigenverantwortung aus. Wenn es heißt „Ruh dich aus“ oder „Gib dir Zeit“, dann mag das für manche in bestimmten Situationen wichtig sein. Aber ganz häufig ist es nicht das, was der Mensch braucht, um sich wieder lebendig zu fühlen. Erst recht dann nicht, wenn ihn der Ruf aus einer unsicheren Welt zum Abenteuer auffordert. Wir sind alle so sehr in den Gedanken verliebt, dass uns alle Türen offen stehen. So viele Chancen und Möglichkeiten, die wir hätten, aber meistens einfach nicht nutzen. Allein zu wissen, dass wir könnten, wenn wir wollten, gibt uns ein gutes Gefühl. Allerdings nur oberflächlich und nur für kurze Zeit. Tief in unserem Kern wissen wir, dass wir Angst vorschieben, um durch keine dieser offenen Türen des Lebens gehen zu müssen. Wir wissen nicht, was uns hinter diesen Türen erwarten würde. Dabei kommt die Frage auf: existieren offene Türen überhaupt, wenn wir nicht durch sie hindurchgehen? Was für einen Sinn oder Zweck erfüllt eine Tür, wenn niemand sie durchschreitet? Stell dir dein Leben mal als einen langen Flur, mit vielen Türen, links und rechts vor.  Sie alle stehen offen und laden dich in unbekannte und neue Welten ein. Was passiert? Die meiste Zeit des Lebens verbringst du im Flur, oder? Traurig, aber wahr. Wir treten vielleicht mal an die Schwelle der Türen, aber gehen nicht durch sie hindurch. Durch eine Tür hindurch zugehen würde ja auch bedeuten, dass wir uns von diesem Flur mit all den ungenutzten Chancen verabschieden und uns entscheiden müssten. Für eine Sache. Und wenn das dann die falsche Tür wäre? Die falsche Entscheidung und wir scheitern? Diese Fragen quälen uns so lange, bis wir uns irgendwann unbewusst, dazu entschließen, diese dummen Risiken nicht mehr einzugehen. Lieber vorsichtig sein. Dann kann uns nichts passieren. Ja, das stimmt. Es passiert nichts. Nichts, was nur annähernd eine Art von Reibung erzeugen und uns vielleicht zwingen könnte, unsere bisherigen Überzeugung zu überdenken und zu verändern. Vielleicht liegt es daran, dass du dich in Wahrheit gar nicht verändern willst. Du musst es wagen, dich dem Leben zu überlassen und deine Potenziale und Kräfte auf eine Karte zu setzen, ohne die 100 weitere Türen offen zu halten.

„ Wenn wir etwas riskieren und möglicherweise scheitern, ist es kein Scheitern, wenn sich unser wahrer Charakter, verborgene Persönlichkeitszüge und Potenziale offenbaren“.

Wenn du es schaffst, diesen Satz wirklich mal tief in dir wirken zu lassen, könnte es passieren, dass die Angst vor dem Scheitern wegfällt und du dann viel leichter Risiken eingehst. Die meisten Wagnisse sperrst du aus, weil du Angst vor dem Scheitern hast, richtig? Wenn du aber verinnerlichst, dass Erfahrungen, die sich wie ein Scheitern anfühlen, oft erst recht dein Potential und deinen Kern zum Vorschein bringen, könnte sich das Blatt wenden. Du erhältst einen ganz neuen Blick auf das Leben an sich und der Satz: „Das Leben ist immer auf deiner Seite“, erhält eine ganz neue und tiefere Bedeutung.

 

 

B.Yilmaz. Das Risiko du selbst zu sein. 2022