Sie treffen oft auf Menschen, denen Sie gerade erst vorgestellt wurden und mit denen Sie in Zukunft vermehrt zutun haben. Um den ersten Eindruck zu bestätigen oder auch zu überdenken und zu hinterfragen hilft Ihnen Ihre Menschenkenntnis.  Aber was versteht man eigentlich darunter? Was können Sie tun, wenn Sie mit Ihrer ersten Einschätzung oft daneben liegen und dadurch in so manches Fettnäpfchen treten? Kann man Menschenkenntnis lernen?

Was versteht man unter Menschenkenntnis?

Menschenkenntnis ist die Fähigkeit, den Charakter eines Menschen sowie seine Verhaltensweisen auf den ersten Blick richtig einzuschätzen und zu beurteilen und daraus Schlüsse auf zukünftiges Denken und Handeln dieser Person zu ziehen. Sie entsteht durch Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben. Allerdings spielen auch unsere Vorurteile und Glaubenssätze mit in dieses Urteil hinein.

Die Illusion der guten Menschenkenntnis

Liegen Sie mit Ihrer ersten Einschätzung einer Person oft daneben? Damit stehen Sie nicht allein da. Zwar bescheinigen fast alle sich selbst eine gute Menschenkenntnis, doch das stimmt leider nicht mit der Realität überein.

Wenn wir neue Menschen kennenlernen, gehen unsere Antennen auf Empfang. Bewusst ist uns das nicht, aber unser Unterbewusstsein beschäftigt sich intensiv mit dem Gegenüber: Was ist das für ein Mensch? Kann ich ihm oder ihr vertrauen? Wir bilden uns blitzschnell ein Urteil – oder anders ausgedrückt: Wir drücken dem Gegenüber unsere Vorurteile auf.

Weshalb liegen wir so oft falsch?

Es gibt mehrere Gründe, weshalb wir mit unserer Einschätzung oft daneben liegen:

  • Der Bestätigungsfehler: Wenn wir uns einmal ein Bild gemacht haben, halten wir unbewusst daran fest und ignorieren Hinweise darauf, dass wir uns geirrt haben könnten. Jedes kleine Detail, das in unsere erste Einschätzung hineinpasst, nehmen wir dagegen sofort wahr und bestätigen dadurch unseren falschen ersten Eindruck.

 

  • Der Attributionsfehler: Wir lassen bei neuen Bekanntschaften die äußeren Umstände außer Acht. Hat der Mensch, dem wir zum ersten Mal gegenüberstehen, vielleicht gerade Zahnschmerzen, einen Todesfall in der Familie oder eine heftige Ehekrise, dann sehen wir möglicherweise eine Seite, die gar nicht typisch für ihn ist. Das wissen wir nicht, aber danach beurteilen wir ihn ganz unbewusst. Das kann zu einem falschen ersten Eindruck führen.

 

  • Selbstüberschätzung: Viele Menschen halten ihre Menschenkenntnis für besser, als sie ist. Daraus ergeben sich verzerrte Urteile über andere Menschen.

 

  • Unsere Psyche liebt Illusionen: Der Philosoph Friedrich Nietzsche drückte das so aus: „Machen wir es nicht im Wachen wie im Träumen? Immer erfinden und erdichten wir erst den Menschen, mit dem wir verkehren.“ Wir haben unsere Erwartungen und wollen sie erfüllt sehen.

 

  • Kulturelle Unterschiede: Mangelnde interkulturelle Kompetenz bzw. ganz konkret ungenügende Kenntnisse der Kultur unseres Gegenübers können ebenfalls zu gravierenden Fehleinschätzungen führen. 

 

Wie verbessere ich meine Menschenkenntnis?

Für eine gute Kommunikation ist es sehr wichtig, dass wir unser Gegenüber richtig einschätzen. Wir liegen oft mit unserer ersten Einschätzung daneben. Unser Unterbewusstsein beurteilt den Menschen innerhalb eines Augenblicks. Das wird ihm oft nicht gerecht.

Doch die gute Nachricht lautet: Menschenkenntnis lässt sich lernen. Gute Menschenkenntnis beruht auf Lebenserfahrung, Intelligenz und Intuition. Man kann Sie durch viel Kontakt mit unterschiedlichen Menschen verbessern. Das allein reicht aber noch nicht aus. Es kommt darauf an, die Erfahrungen richtig auszuwerten. Hinterfragen Sie den ersten Eindruck bewusst.

Wir betrachten andere durch die Brille unserer Erfahrungen, Sehnsüchte und Ängste. Lernen Sie Ihre eigenen Schwächen und Stärken kennen. Wer sich selbst richtig einschätzen kann, liegt auch bei anderen nicht so oft daneben.

Menschen kommunizieren nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrem Körper. Die Körpersprache – besonders, wenn sie unbewusst geschieht – ist oft ehrlicher und dadurch aufschlussreicher als die Worte. Aber Vorsicht: Verstehen Sie Erkenntnisse durch die Körpersprache bitte immer nur als Hinweise, nicht als absolute Wahrheiten.

  • Die Kopfhaltung: An der Kopfhaltung lässt sich vieles ablesen. Eine gerade Kopfhaltung vermittelt Selbstsicherheit und Aufgeschlossenheit, ein gesenkter Kopf kann hingegen Unterwerfung oder auch Trotz bedeuten.
  • Die Schultern: Hängende Schultern deuten auf Müdigkeit, Überlastung und Niedergeschlagenheit hin, während nach oben gezogene Schultern Abwehr signalisieren.
  • Hände und Arme: Verschränkte Arme wirken wie ein Schutzpanzer, während versteckte Hände auf Unsicherheit hinweisen.
  • Beine und Füße: Im Sitzen signalisieren nebeneinander aufgestellte Füße Selbstsicherheit und Wohlbefinden, während aufgestellte Fußspitzen auf Fluchtbereitschaft hinweisen. Nach vorn ausgestreckte Beine deuten auf großes Selbstbewusstsein und ein offenes Wesen hin. Im Stehen bedeutet vollständiger Bodenkontakt mit fast geschlossenen Beinen Ausgeglichenheit und Offenheit. Sind die Beine über Beckenbreite geöffnet, so deutet dies auf Dominanz hin. Ein ausgedrehter Fuß kann Überlegenheit signalisieren.

Äußerlichkeiten können oft täuschen. Hier ist es wieder das Unterbewusstsein, das uns hinters Licht führt. Viele Menschen behaupten, sich nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen, aber das ist leider nicht so. Bestimmte Attribute werden mit bestimmten Charaktereigenschaften in Verbindung gebracht. Machen Sie sich diese Vorurteile bewusst. Nur, wenn wir unsere Aufmerksamkeit mit Absicht darauf lenken, können wir hinter die Fassade der Äußerlichkeiten sehen. Der Ton macht die Musik. Beachten Sie nicht nur die Worte, sondern auch die Art, wie etwas gesagt wird. Wenn uns jemand auf Anhieb sympathisch ist, neigen wir dazu, ihr oder ihm keine negativen Eigenschaften zuzutrauen. Versuchen Sie, neutral zu bleiben und nicht durch eine rosarote Brille zu sehen. Ist uns eine Person auf Anhieb unsympathisch, neigen wir dagegen dazu, ihr vor allem negative Eigenschaften zuzuschreiben. Machen Sie sich bewusst, dass diese spontane Antipathie mit Erfahrungen zu tun hat, die Sie mit anderen Menschen gemacht haben, oder mit Vorurteilen aufgrund von Kleidung oder Auftreten der Person. Passen Sie hier besonders auf, dass der erste negative Eindruck nicht einer guten Zusammenarbeit in die Quere kommt.

Machen Sie es sich zur Gewohnheit, die Menschen in Ihrer Umgebung aufmerksam und möglichst vorurteilsfrei zu beobachten. Dazu gibt es unzählige Gelegenheiten: in der Schlange an der Kasse, in der U-Bahn, auf dem Spielplatz, im Café, beim Sport und so weiter. Übung macht den Meister, das trifft auch bei der Menschenkenntnis zu.