Kränkungen können Ohnmachtsgefühle, Wut und Selbstzweifel auslösen. Auch verdrehte Augen, genervtes Schnauben oder einfach keine Reaktion verletzen uns manchmal stark.

Unter Kränkung versteht man im Allgemeinen die Verletzung eines anderen Menschen in seiner Ehre, seinen Werten, seinen Gefühlen, insbesondere seiner Selbstachtung. Kränkungen sind daher Erlebnisse wie Ablehnung, Kritik, Zurechtweisung, ausgeschlossen oder ignoriert zu werden, die die Betroffenen als Demütigung oder Verletzung des Selbst empfinden. Eine Kränkung ist auch eine Verletzung der Erwartung an das Leben, dass alles glatt läuft, so wie man es sich vorstellt. Ein Mensch, der gekränkt wird, fühlt sich im Innersten verletzt und angegriffen, er betrachtet das Erlebnis nicht als bloßes Faktum sondern als Ablehnung seiner Person. Eine Kränkung ist auch dem Begriffe nach ein Erlebnis, nach dem die Betroffenen sich krank fühlen, vorwiegend seelisch, nicht selten aber auch mit körperlichen Folgen. (Stangl, 2022).

Sich gekränkt oder verletzt zu fühlen, ist zunächst einmal eine völlig normale, emotionale Reaktion. Wir sind zutiefst soziale Gemeinschaftswesen, die Anerkennung und Zugehörigkeit brauchen, um Selbstwert und Würde zu spüren. Um absolut unkränkbar und unverletzlich zu sein, müssten wir unempathische Egozentriker sein. 

Was läuft denn in uns ab, wenn wir uns gekränkt fühlen?

Wenn wir uns verletzt oder blossgestellt fühlen, dann meist durch Menschen, die uns wichtig oder von denen wir abhängig sind. Weil wir ihr Verhalten als einen Angriff auf unsere Würde oder unseren Selbstwert interpretieren, empfinden wir Scham, manchmal auch Schuld. Wir glauben, auf der Bindungsebene zurückgewiesen worden zu sein, was Angst auslösen kann. Oft spüren wir die vermeintliche Verletzung sogar körperlich – zum Beispiel als einen Stich im Herzen oder einen Schlag in den Bauch. Als Reaktion auf die erlebte Verletzung schaltet sich in einem Bruchteil von Sekunden unser Stammhirn-Notfallset ein: Wir reagieren mit Flucht, Angriff oder Erstarrung. 

Warum reagieren die einen kaum und die anderen sehr heftig auf eine Kränkung?

Ob ein bestimmtes Verhalten uns verletzt oder nicht, hängt von situativen und biographischen Faktoren ab. Ein Mensch, der als Kind ständig gekränkt, entwertet und blossgestellt wurde, kann als Erwachsener viel verletzlicher als andere sein. Auch die Gene spielen eine Rolle bei der Frage, wie verwundbar jemand im Selbstwert ist. Darüber hinaus entscheidet die Tagesform, ob wir dünnhäutig oder robust sind. Wer an einem Tag bereits besonders viele stressige Situationen hatte, ist verletzbarer als jemand, der einen ruhigen Tag mit aufbauenden Erlebnissen hatte. 

Was ist beim Ansprechen zu beachten?

Aus einer Kränkung heraus ist es oft naheliegend zu denken, dass unser Gegenüber uns absichtlich verletzen wollte. Und natürlich gibt es Situationen, wo dies auch der Fall ist, zum Beispiel bei Mobbing. Aber in den meisten Alltagssituationen passieren Kränkungen unbeabsichtigt. Wenn ein Gespräch gelingen soll, ist es deshalb sehr wichtig, dass ich zwischen der Motivation hinter der Aussage oder Handlung und deren Wirkung auf mich unterscheide. Die Wirkung ist verletzend, die Motivation kann jedoch eine ganz andere gewesen sein. Wer dem anderen eine kränkende Absicht unterstellt, treibt das Gespräch in eine Schuld-Verteidigungs-Dynamik, die in der Regel unproduktiv ist oder eskaliert. 

Genau genommen kränken wir uns immer nur selbst.

Bei einer Kränkung spielt es oft gar keine Rolle, ob uns jemand gezielt angreift oder nicht, denn meist sind wir in hohem Maße selbst dafür verantwortlich, dass wir uns gekränkt fühlen. Wie andere Emotionen entsteht das Gefühl der Kränkung aus unserer Interpretation unserer Wahrnehmung: Wenn wir etwas hören oder erleben, das wir als Angriff auf unseren Selbstwert interpretieren oder durch das wir unsere Werte und Überzeugungen bedroht oder in Zweifel gezogen sehen, fühlen wir uns getroffen und empfinden heftige Emotionen. 

Kränkungen treffen uns nur an Schwachstellen

Doch nun kommt das eigentlich Entscheidende: Genau wie wir einen Boxer nicht zum Taumeln bringen, wenn wir auf seinen durchtrainierten Po oder seine Bauchmuskeln zielen, werden wir uns niemals gekränkt fühlen, wenn es um Dinge geht, die für uns unwichtig sind, oder um unsere Stärken, derer wir uns sicher sind. Sehen wir dagegen unsere Unsicherheiten, Schwachstellen, wunden Punkte und wichtigsten Werte unter Beschuss, trifft uns eine Kränkung schwer – und lässt uns taumeln. Insofern führen uns Kränkungen meist unsere Unsicherheiten vor Augen und wer viele davon hat und selbst stark an sich und seinem Leben zweifelt, ist in der Regel deutlich leichter und häufiger gekränkt als jemand, der sich seiner Stärken, Prioritäten und Entscheidungen im Großen und Ganzen sicher ist. Wunde Punkte hat zwar jeder Mensch, doch es sollten nicht so viele sein, dass wir durchs Leben taumeln.

 

 

 

Verwendete Literatur

Stangl, W. (2022, 27. April). Kränkung . Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.

https://lexikon.stangl.eu/28005/kraenkung.