„Alles begann an jenem grauen Tag, an dem du aufhörtest, stolz „ich bin!“ zu sagen. Und beschämt und ängstlich senktest du den Kopf und ändertest deine Worte und dein Handeln gemäß dem Gedanken: „Ich sollte sein.“

Und wenn es schon schwierig ist, zu akzeptieren, daß ich bin, wer ich bin, wieviel schwieriger mag es dann manchmal sein, den Gedanken „Was ist, das ist!“ anzunehmen: Du bist, wer du bist. Das heißt: Du bist nicht der, den ich in dir suche Du bist nicht der, der du einmal warst. Du bist nicht so, wie es mir paßt. Du bist nicht so, wie ich dich will. Du bist, wie du bist. Dies zu akzeptieren bedeutet, dich zu respektieren und nicht von dir zu verlangen, daß du dich änderst. Vor kurzem habe ich begonnen, die wahre Liebe folgendermaßen zu definieren: als die uneigennützige Aufgabe, Raum zu schaffen, damit der andere sein kann, wer er ist. Diese „Wahrheit“ ist der Anfang und das Prinzip (sowohl im Sinn von Ursprung wie auch von Grundlage) jeder erwachsenen Beziehung. Sie tritt ein, wenn ich dich akzeptiere, wie du bist, und spüre, daß auch du mich akzeptierst, wie ich bin.

Eine weitere Wahrheit, die ich für unabdingbar halte, ist eine alte Sufiweisheit: Das Gute gibt es nicht umsonst. Hieraus entstehen für mich mindestens zwei weitere Gedanken. Der erste: Wenn ich etwas will, das mir guttut, muß ich wissen, daß ich dafür einen Preis zu zahlen habe. Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht immer um Geld, das wäre zu einfach. Dieser Preis mag manchmal hoch und manchmal sehr niedrig sein, aber geben wird es ihn immer. Denn das Gute gibt es nicht umsonst. Der zweite Gedanke: Wenn ich merke, daß mir etwas von außen entgegengebracht wird, wenn mir Gutes widerfährt, wenn ich angenehme und wohltuende Dinge erlebe, dann ist es, weil ich sie mir verdient habe. Ich habe dafür bezahlt, ich habe sie verdient. (Um die Pessimisten wachzurütteln und den Profiteuren den Wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich klarstellen, daß man immer im voraus bezahlt: Das Gute, das mir widerfährt, ist bereits bezahlt. Und Ratenzahlung gibt es nicht!) Manchmal werde ich gefragt: Und wie sieht es mit dem Schlechten aus? Kann es sein, daß es auch das Schlechte nicht umsonst gibt? Wenn mir etwas Schlechtes widerfährt, dann etwa auch, weil ich dazu beigetragen habe? Weil ich es in irgendeiner Weise verdient habe? Vielleicht ist dem so.

Ich spreche hier jedoch von den für mich unumstößlichen, ausnahmslos gültigen und universellen Wahrheiten.

Und für mich ist die Behauptung, daß ich alles verdiene, was mir widerfährt, inklusive dem Schlechten, nicht von solch unabdingbarer Gewißheit. Ich kenne ein paar Menschen, denen schlimme und schmerzhafte Dinge widerfahren sind, ohne daß sie sie auch nur im geringsten verdient hätten! Das Gute gibt es niemals umsonst–diese Wahrheit zu verinnerlichen bedeutet, ein für allemal die kindliche Vorstellung fahrenzulassen, daß mir jemand etwas geben müsse, nur weil ich es will. Daß mich das Leben mit dem ausstatten muß, was ich mir wünsche, nur weil ich es mir wünsche, einfach so, wie von Zauberhand.

Auch eine meiner Wahrheiten, die ich für wichtig halte, kann ich folgendermaßen formulieren:

Es steht fest, daß man niemals all das tun kann, was man will, aber genauso steht fest, daß man niemals etwas zu tun braucht, das man nicht will. Ich wiederhole es für mich selbst: Niemals etwas tun, was ich nicht will. Diesen Gedanken fest zu verinnerlichen und in Übereinstimmung mit ihm zu leben ist nicht einfach. Und vor allem ist es nicht umsonst. (Zum Glück ist ja alles Gute nicht umsonst.) Ich will sagen, daß mich als erwachsenen Menschen niemand dazu zwingen kann, etwas zu tun, was ich nicht tun möchte. Das Schlimmste, was mir dabei passieren kann, ist, daß ich mit dem Leben dafür bezahle. (Nicht, daß ich diesen Preis herunterspielen will, aber ich denke, es ist ein Unterschied, ob ich glaube, daß ich etwas nicht tun kann, oder weiß, daß es zu tun mich das Leben kosten könnte.) Im Alltag allerdings, in unserem alltäglichen Leben, sind die Kosten in der Regel wesentlich geringer. Normalerweise ist das einzige, was ich für meine Freiheit in Kauf nehmen muß, der Verzicht darauf, daß ein paar Menschen mir zustimmen, mir Beifall pflichten, mich mögen. Der Preis für das Wagnis, nein zu sagen, besteht darin, daß man beginnt, einige bislang unbekannte Züge an seinen Freunden und seinem Partner zu entdecken: nämlich den Nacken, den Rücken und all die anderen Körperteile, die man nur dann sieht, wenn der andere sich abwendet.
Diese Wahrheiten sind für mich Gedankengebirge, Gedankenflüsse, Gedankensterne.
Wahrheiten, die über die Zeit und die Umstände hinaus ihre Gewißheit behalten. Konzepte, die nicht an bestimmte Momente gebunden sind, sondern an jeden einzelnen dieser Momente, die wir, zusammengenommen, „unser Leben“ nennen. Wahrheitsgebirge, um unser Haus auf solidem Grund errichten zu können. Wahrheitsflüsse, um unseren Durst an ihnen stillen und auf ihnen zu neuen Horizonten aufbrechen zu können. Wahrheitssterne, die uns auch in unseren dunkelsten Nächten als Begleiter dienen.

 

 

Geschichten zum Nachdenken von Jorge Bucay