Der Hauptunterschied zwischen Wahrheit und Ehrlichkeit ist, dass Wahrheit sich auf die absolute Realität von Tatsachen bezieht, während Ehrlichkeit eine Eigenschaft ist, aufrichtig zu sein und auf eine bestimmte Weise überzeugend zu wirken.

Ehrlich zu sein bedeutet, nicht zu lügen oder die Qualität der Meinung, Ideen oder gesagte Inhalte präzise oder vor allem überzeugend darzustellen. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Wahrheit und Ehrlichkeit. Wenn zum Beispiel jemand ehrlich ist, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass die Person absolut wahrheitsgetreu agiert.

Nehmen wir das Beispiel:

Ich mag dich, ehrlich!

hat eine explizite und eine implizite Ebene.

Explizit dh. ausdrücklich, wortwörtlich ist die Aussage eindeutig formuliert:

Ehrlich gesagt, mag ich dich. 

Implizit oder in der Aussage eingeschlossen – könnte damit auch gemeint sein:

Jetzt meine ich es ehrlich, ich mag dich.  

Alles was ich sonst gesagt habe, ist damit nicht unbedingt ehrlich gemeint.

Tatsächlich ist die Zusatzbemerkung (dass es ehrlich gemeint ist) nicht erwähnenswert, insofern alle sonstigen Aussagen ebenfalls ehrlich gemeint wären. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass wir tagtäglich beim Sprechen über den Wahrheitsgehalt von Äusserungen nachdenken müssten. In der Kommunikationsberatung werden bekanntlich Begriffe, wie Wahrheit Offenheit Ehlichkeit immer wieder unterstrichen. Dies bedeutet, dass Lügen auf lange Sicht kurze Beine haben. (Weil selbst Laien erkennen, dass beim Lügen etwas nicht stimmen kann; nicht synchron ist). Nachfolgend geht es nun nicht darum, zu beweisen, dass Lügen auch lange Beine haben können. Doch dürfen wir einmal an dieser Stelle die angeblich „ehrlichen“ Aussagen genauer betrachten.

Es gibt Statistiken, die wahr haben sollen, dass in Alltagsgesprächen sehr viel gelogen wird. Neuere Forschungen gehen übrigens davon aus, dass Frauen genau so oft lügen wie Männer, nur etwas geschickter. Ohne sich der Unwahrheit zu verpflichten, stellen wir immer wieder fest, dass die Unwahrheit oder das Verschweigen von Meinungen (Das „Nicht offen alles sagen“) grosse Vorteile haben kann und mitunter sogar notwendig ist. Ein Arzt wird unter Umständen bewusst „lügen“ und hilft damit vielleicht dem Patienten mehr. Wer die Alltagsgespräche genauer beachtet, stellt tatsächlich fest: Gegenüber Vorgesetzten, Kunden oder Lebenspartner werden laufend Komplimente gemacht, die eindeutig übertrieben, nicht ehrlich gemeint sind. Es wird mitunter handfest gelogen. (Alter, Ausbildung, Erfolge, Finanzen usw.) Arthur Schopenhauer formulierte es wie folgt:

So eng auch Freundschaft Liebe und Ehe Menschen verbinden: Ganz ehrlich meint jeder es am Ende doch nur mit sich selbst und höchstens noch mit seinem Kinde.

Der deutsche Philosoph stellt damit schon im 19. Jahrhundert fest, dass der Umgang mit der Ehrlichkeit ein schwieriges Thema ist. Übertriebene Offenheit kann sogar zur Taktlosigkeit werden. Wer alles so sagt, wie er es empfindet, hat bald Kommunikationsprobleme. Unter dem Deckmantel der Ehrlichkeit könnten wir tagtäglich Mitmenschen verletzen. Hat somit die „Notlüge“, die weisse Lüge Schutzfunktion? Vielleicht brachte es George Bernhard Shaw auf den Punkt, wenn er sagte:

Die Liebe zur Ehrlichkeit ist die Tugend des Zuschauers, nicht die der handelnden Person.

Möglicherweise gibt es verschiedene Arten der Ehrlichkeit. Jene mit und über sich selbst und jene über andere. Mit der sogenannten Ehrlichkeit haben die Anderen ein einfaches Instrument, jemanden fertig zu machen. Ein spanisches Sprichwort sagt. „Zuweilen spricht auch der Teufel die Wahrheit“. Wann nützt dann überhaupt Ehrlichkeit, wenn im Alltag jene bestraft werden, die offen und „ehrlich“ Ihre Gefühle und eigenen Schwächen vor anderen ausbreiten? Ehrlichkeit nützt viel und ist und bleibt wichtig. Doch gibt es gewisse Vorausetzungen: Sofern wir bereit sind, bei Schwächen und Direktheiten Bösartigkeit und Gift auszuklammern, ist Ehrlichkeit gewiss hilfreich.

Ehrlich gesagt: Dies fällt mir auch nicht immer leicht.

 

 

Hildegard Knill http://www.rhetorik.ch/