Wenn Wünsche unglücklich machen, sollte man sie fallen lassen.

„Ohne Hoffnung kann man nicht entscheiden. Niemand würde ein Studium oder eine Ausbildung anfangen, wenn er nicht darauf hoffen würde, dass sich Zeit und Mühe am Ende auszahlen. Ohne Vertrauen in die Gunst des Schicksals braucht man morgens gar nicht erst aufzustehen. Wer den Gefahren nüchtern ins Auge blickt, ist nicht mehr lebensfähig. Selbstverständlich ist es vernünftig, auch für den Notfall vorzusorgen, doch jeder weiß, dass man damit an irgendeinem Punkt aufhören muss. Nicht weil Unfälle, Krankheiten, Börsen Crash oder unzuverlässige Zeitgenossen so selten wären, sondern weil man sich sonst lächerlich macht. Wer gegen alles eine Versicherung abschließt, seine Wohnung mit Zusatzschlüsseln und Überwachungskameras versieht und stets einen Fahrradhelm trägt, verliert seine Würde. Leben beruht auf der Annahme: es wird schon irgendwie alles gut gehen. Das Ausbleiben von negativen Ereignissen reicht aber natürlich noch lange nicht, um glücklich zu sein. Niemand kann sich lediglich daran freuen, dass er sich heute kein Bein gebrochen oder seinen Arbeitsplatz nicht verloren hat, dass er nicht ausgeraubt wurde und der Hund nicht gestorben ist. Erst positive Überraschungen machen das Leben lebenswert. Die Erwartung glückliche Fügungen lässt uns Durststrecken und Rückschläge überstehen, denn irgendwann wird das Glück wieder auf unserer Seite sein. Es ist der Zufall, der dem Leben den nötigen Glanz und Zauber verleiht. Der zufällig erhaltene Geldsegen oder die unerwartete schöne Begegnung verleihen ein Hochgefühl, dass man sich nur schwer selbst erarbeiten kann. Und gerecht ist so eine kleine unverdienter Bevorzugung von Zeit zu Zeit sowieso, schließlich müssen wir ertragen,  dass auf Erden eine Menge Menschen leben, die bessere Startbedingungen hatten als wir, weil sie schöner und begabte sind, aus einem reichen Elternhaus kommen, angeborenes Charisma besitzen oder schon immer mehr Glück hatten als alle anderen zusammen. Ein wenig in sein Glück zu vertrauen ist also eine gute Sache, doch sobald man sich etwas zu sehr auf den glücklichen Zufall verlässt, hat das fatale Folgen. Es gibt viele Menschen, die einem Märchen erzählen, die eben zu schön sind um wahr zu sein. Sie versprechen echte Liebe, Außergewöhnliche Verdienstmöglichkeiten und Gewinne aus Gewinnspielen, an denen man gar nicht teilgenommen hat. Wir brauchen also den Zufall, dieses gespannt Hyde, was als Nächstes passiert. Bekämen wir immer nur genau das, was uns zusteht, würde das Leben keinen Spaß mehr machen. Sieht man die Stationen seines Weges allzu deutlich vor sich, kann man sich also ungefähr ausmalen, wo man in 5, 10 oder 15 Jahren stehen und wie viel man dabei verdienen wird, wird man wenig Motivation verspüren, loszulegen. Denn auf diese Weise wird das Leben zu etwas, dass man abarbeiten muss. Die größten Sehnsüchte und Träume eines Menschen sind immer mit der Tatsache verknüpft, dass es ihm ganz und gar nicht sicher ist, ob sie sich in diesem Leben je erfüllen werden.

Alles, was leicht verfügbar ist, erzeugt keine Sehnsucht, alles, was man sich genau vorstellen kann, hat keinen Reiz mehr.

Die angenehmste Spannung stellt sich also ein, wenn wir uns Ziele setzen, die ein wenig schwieriger zu erreichen sind als die Alternativen, die uns ganz sicher zur Verfügung stehen, wie etwa der Ausbildungsplatz beim Onkel oder die Hochzeit mit der Kindergarten Freundin. Aber dieses Ziel sollte wiederum nicht so ambitioniert sein, dass es übermenschlichen Anstrengungen und einer guten Portion Glück bedarf, um es überhaupt zu schaffen. Welche Spannungsintensität einem angenehm ist, muss natürlich jeder selbst für sich herausfinden, aber im Prinzip gilt das, was der englische amerikanische Philosoph Alan Watts bereits in den sechziger Jahren über den Wunsch, sein Schicksal kontrollieren zu können, gesagt hat. Kein Mensch, so Watts, wünscht sich ernsthaft, in die Zukunft schauen zu können, den wie sicherer und deutlicher man in die Zukunft sehe, desto mehr könne man sagen, dass man sie bereits hinter sich habe. Alles was erreichbar ist, ist also langweilig“

 

 


Quelle:Patricia Franke: Authentisch! wie du glücklich wirst, ohne dich zu verbiegen. Trias-Verlag 2019