Wie ein listiger Schweizer und eine schöne Deutsche eine Bresche für leichte Strandbekleidung auf Mallorca schlugen.

Noch 1966 mussten Frauen, die in Spanien im Bikini an den Strand gingen, mit dem Eingreifen der Guardia Civil rechnen. Umso bemerkenswerter mutet an, dass genau in diesem Jahr ein Schweizer Unternehmer in Cala Millor an Mallorcas Südostküste ein Hotel mit dem anstößigen Namen „Bikini“ eröffnen konnte, und nicht nur das: Er schaffte es sogar, dass der Priester des Ortes den Bau kirchlich segnete und auf diesen Namen taufte. Der Wundertäter war Alfred Erhart, ein Schweizer Tausendsassa, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein visionäres Gespür für das Potenzial des Massentourismus im Allgemeinen und der Insel Mallorca im Besonderen bewies. Damals warfen die Streitkräfte der Alliierten zu Hunderten Transportflugzeuge auf den Markt, die nicht mehr benötigt und entsprechend billig abgegeben wurden. Mit diesen zu Passagierflugzeugen umgebauten fliegenden Kisten begann der Boom des Pauschaltourismus.1955 gründete Erhart die erste Charter-Fluggesellschaft der Schweiz und stellte bald fest, dass es auf den Inseln, die er seinem Publikum als Reiseziele anbieten wollte, an ausreichend komfortablen Unterkünften fehlte. 1961 baute er sein Unternehmen „Universal“ zu einem Reiseveranstalter um, 1963 begann er mit dem Bau eigener Hotels auf Mallorca. So sehr er sich für die Insel begeisterte – die allzu strikte Moral in Spanien war ihm ein Dorn im Auge, denn er wusste um die Vorliebe seines Publikums für leichte Strandbekleidung. Also beschloss er 1966, seinen Beitrag zur Modernisierung des Landes zu leisten, indem er ein neues Hotel, das er in Cala Millor bauen ließ, „Bikini“ nannte. In seiner Autobiografie „Wunder dauern etwas länger“ beschreibt Erhart, was sich kurz vor dem Einweihungsfest abspielte: „Als ich dem Vertreter der Kirche mitteilte, er hätte das Haus auf den Namen ‚Bikini‘ zu taufen, nahm er mich entsetzt beiseite und fragte konsterniert, ob ich nicht einen anderen Namen hätte finden können.“ Doch das Schweizer Schlitzohr hatte genau diese Situation vorhergesehen und eine schöne Karte vom Bikini-Atoll besorgt. -Diese hing nun im Speisesaal, wohin Erhart den Geistlichen führte und fragte, was denn dagegen spreche, das Hotel nach einem Atoll im Pazifik zu benennen, und woran er, der Priester, denn eigentlich gedacht hätte. Der Gottesdiener wurde feuerrot im Gesicht und nahm die Taufe des Hotels wie geplant vor. Um Missverständnisse zu vermeiden, führte er jedoch vorher seine mallorquinischen Bekannten zur besagten Landkarte – um auf Nummer sicher zu gehen, denn man weiß ja nie, auf welche Gedanken die Leute kommen …

Was das gleichnamige Textil betrifft, so war es eine Deutsche, die den Zweiteiler in Spanien schon vier Jahre vorher in aller Öffentlichkeit spazieren trug und -damit Furore machte: Am  4. Dezember 1962 feierte „Bahía de Palma“ Premiere, der erste spanische Film, dem Francos Zensoren einen Bikini durchgehen ließen. Die Kirche fand deutliche Worte für diesen Zusammenbruch der Moral: „gravemente peligrosa y desaconsejable“ sei der Film (höchst gefährlich und abzuraten). Die Kinos wurden daher von der Guardia Civil streng überwacht, um zu verhindern, dass Minderjährige von dem Machwerk verdorben würden. Gedreht wurde dieser Meilenstein der spanischen Moralgeschichte im Jahr 1961 auf Mallorca, und getragen hat den Zweiteiler die deutsche Schauspielerin Elke Sommer. Der Film war eine Sensation, ganz wie beabsichtigt. Manuel Frage, der clevere Tourismusminister, hatte die Kino-Industrie des Landes beauftragt, eine Reihe von „sommerlichen“ Spielfilmen zu drehen, um den Strandurlaub in Spanien zu propagieren. Unter dieser Prämisse hatte der Regisseur von „Bahía de Palma“, der Katalane Joan Bosch, ein Jahr zuvor einen ähnlichen Film in einer anderen Ferienregion gedreht: „El último verano“ (Der letzte Sommer). Schon dort, an der Costa Brava, hatte er versucht, die Realität des Strandlebens einzufangen, Bikini inbegriffen. Die Szene, in der zwei Mädchen beim Spaziergang im Zweiteiler zu sehen sind, fiel damals im Schneideraum der Moralpolizei zum Opfer. Doch der Zensor ermutigte den Regisseur mit den Worten: „Nur die Ruhe, das wird in Kürze erlaubt sein.“

Dank der Priorität der Tourismuswerbung wurde somit die Bahn frei für die bis dahin skandalöseste Minute der spanischen Filmgeschichte: Elke Sommer rekelte sich in einem Zweiteiler an einem Strand in Calvià. Die Presse reagierte auf die Revolution mit donnerndem Schweigen, doch Mundpropaganda sorgte dafür, dass sich die Kinosäle in ganz Spanien füllten – im „Palacio de la Prensa“ in Madrid stand „Bahía de Palma“ geschlagene drei Monate auf dem Programm.

Noch mehr Anekdoten in: Thomas Fitzner, Wo zum Kuckuck sind die Palmen? 101 Anekdoten aus Mallorca. Verlag Fabylon, 2017, 14,90 Euro.

https://www.mallorcazeitung.es/blogs/mallorca-anekdoten/der-teufel-tragt-bikini.html