Der Schöne Glanz des Zufalls

Das Märchen von der wahrscheinlichen Unwahrscheinlichkeit

 


„Er hatte den ersten Weltkrieg miterlebt, und nun arbeitete er hier, am St. Marys Hospital in London. Sein Chef war ein Angeber, dauernd war er kurz davor, etwas Geniales zu entdecken und damit in die Medizingeschichte einzugehen. Egal, er konnte hier in diesem Labor machen, was er wollte, und nur darauf kam es an. Das Fenster zur Straße stand offen, ein Streifen Sonne viel auf seine Arbeitsplatte, er hörte Schritte, Stimmen und Kinderlachen. Zum Glück arbeitete er nicht in den Räumen im Keller, da kam nie Licht herein und feucht war es obendrein, man konnte den Geruch nach Schimmel und nassem Hund bis hier oben riechen, sogar im Sommer. Geübt verteilte er die Staphylokokken auf die Petrischalen, verschloss sie und stellte sie für den Assistenten bereit, er würde die angefangene Versuchsreihe fortsetzen. Er freute sich auf seine Sommerferien, seine Frau würde die Koffer packen, aber seine Ferienlektüre wollte er selbst zusammenstellen. Er schraubte das letzte Glasdeckelchen auf die runde Petrischale, entsorgte den Spachtel, räumte Papiere beiseite und löschte das Licht. Der Rest ist bekannt.
Als Alexander Fleming am 28. September 1928 nach seinen Ferien in das Labor zurückkam, entdeckte er, dass er die letzte Petrischale im Spülbecken vergessen hatte. Auf der Kultur waren Schimmelpilze gewachsen, offensichtlich hatte er die Schale nicht richtig verschlossen. Bevor er die Probe entsorgt hatte, betrachtete er sie unter dem Mikroskop und machte eine der wichtigsten Entdeckungen der Medizin: überall dort, wo die Schimmelpilze waren, waren die Bakterien verschwunden. 13 Jahre später wurde der erste Mensch mit Penicillin behandelt, ein Polizist aus London hatte sich durch eine kleine Schnittwunde eine Wundinfektion zugezogen. Durch die Penicillingabe ging es ihm bald besser, sein Fieber verschwand, die Entzündung klang ab. Dann aber war das Penicillin alle, und der Polizist starb einige Tage später. Aber das konnte den Siegeszug des ersten Antibiotikums nicht aufhalten. In wenigen Jahren stieg die Lebenserwartung der Menschen und ganze zehn Jahre.“

Machen Sie es wie Alexander Flemming, geben Sie nicht auf, arbeiten Sie auch mal schlampig, fahren Sie in die Ferien, glauben Sie an das Gute und den glücklichen Zufall. Warum sollte es nicht bei Ihnen klappen, wenn es bei einem Bauern Sohn aus Darval in Schottland geklappt hat?
Why not?
Einfach mal machen?

 

 

R. Niazi-Shahabi 2019: Mir steht alles offen, ich finde nur nicht die Tür. Piper Verlag