Hast du das Gefühl, dass dein Leben zu entspannt und einfach verläuft?
Leidest du unter der unerträglichen Leichtigkeit des Seins?
Dann hab ich eine Idee, wie du das ganz schnell ändern kannst:

Versuche, perfekt zu sein!

Versuche, keine Fehler mehr zu machen und keine Schwächen mehr zu haben. Und ich garantiere dir, dass du in kürzester Zeit unzufrieden, gereizt, frustriert und angespannt sein wirst.

Perfektionismus gleicht dem Versuch, an einem Regentag durch einen schlammigen Kartoffelacker zu laufen, ohne dir dabei die Schuhe schmutzig zu machen–das kannst du vergessen, das funktioniert einfach nicht.

Perfektion ist eine Illusion, eine fixe Idee darüber, wie etwas „sein sollte“. Und dabei wissen wir alle nur zu gut, dass nicht mal Maschinen und Roboter perfekt sind. Obwohl diese Geräte mit dem Anspruch entwickelt wurden, „perfekt“ zu funktionieren, geben sie doch irgendwann ihren Geist auf. Ob Autos, Computer, Smartphones oder elektrische Zahnbürsten–früher oder später ist der Wurm drin. Und das ist auch ganz gut so, denn so gibt es immer noch etwas zu verbessern und weiterzuentwickeln. Im Fehler liegt die Möglichkeit, zu wachsen. Mit jedem Stolpern lernen kleine Kinder, wie man schließlich gehen kann, ohne auf den Po zu plumpsen. Ob du eine Sprache oder Trompete lernst, ob du einen Tangokurs machst oder beim Kochen ein neues Rezept ausprobierst–damit am Ende was draus wird, musst du den Mut haben, Fehler zu machen. Ohne Fehler und Mängel wäre das Leben ganz schön langweilig. Ohne Fehler zu machen, kann man gar nicht lernen.

Menschen lieben einander übrigens nicht trotz, sondern oft wegen ihrer Fehler. Studien haben gezeigt, dass es selbst bei Models, bei denen das perfekte Aussehen ja eine große Rolle spielt, der „Fehler“ oder „Mangel“ ist, der über den Erfolg entscheidet. Jene Modelgesichter, die nicht vollkommen ebenmäßig waren, sondern einige markante Abweichungen von der Norm aufwiesen, wurden von den Versuchsteilnehmern durch die Bank als interessanter und attraktiver empfunden. Perfektion ist anscheinend unheimlich–es fehlt das Persönliche, Menschliche. Das ist interessant und wichtig: Erst kleine Abweichungen von einem theoretischen Ideal geben die Würze. Kleine „Fehler“ machen also erst die wirkliche Schönheit, die natürliche Vollkommenheit aus. Wirklich perfekt ist also paradoxerweise das nicht hundertprozentig Perfekte! Vermeintliche Nachteile können sich oft in Vorteile und Mängel sich in Stärken verwandeln.

Dazu fällt mir eine Geschichte ein:

Ein wandernder Zimmermann zog mit seinem Gesellen durchs Land, als sie eine gewaltige alte Eiche an einem Feldrand erblickten. Nahe dem Baum war ein Schrein errichtet worden. „Ach, was könnten wir alles bauen, wenn wir nur das Holz dieses einen Baumes hätten!“, rief der Geselle begeistert. „Dieser Baum ist nutzlos“, tadelte ihn der Meister. „Sein Holz taugt nicht zum Schiffsbau, da es schnell verrotten würde. Man kann keine Balken für ein Haus daraus machen–sie würden brechen. Mit diesem Baum kann man nichts Nützliches anfangen.“ Und so zogen sie weiter. „Wie gut ist es doch, nutzlos zu sein. Nur weil ich keinen Nutzen habe, bin ich so alt geworden!“, dachte der Baum.

Falls du dich einmal richtig nutzlos fühlst, dann denk daran, dass es keinen Zwang gibt, „nützlich zu sein“ und dass es oft sogar von großem Vorteil ist, es nicht zu sein. Ein Sprung im Krug wässert die Blumen. Und nur wer einen Sprung in der Schüssel hat, kann auf Ideen kommen, auf die andere niemals kämen …“

 

 

 

 


– Füttere den weißen Wolf: Weisheitsgeschichten, die glücklich machen von Ronald Schweppe, Aljoscha Long

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