Der Führungsalltag im Gesundheitswesen, im speziellen in einer Klinik, erfordert hohe Aufmerksamkeit im Umgang mit den Mitarbeitern aber auch mit sich selbst. Authentisch zu sein im Umgang mit sich selbst schafft Freiraum für ein informelles Gespräch mit Mitarbeitern z.b. wenn diese es gerade brauchen. Authentizität ist erlernbar.

Die Forderung nach Authentizität hat im Zusammenhang mit Führungstrainings und Managementschulungen  in den letzten Jahren zugenommen und an Wichtigkeit und Relevanz gewonnen. Eigentlich dürfte es doch gar nicht so schwer sein authentisch zu kommunizieren und zu agieren höre ich immer wieder. Aber ist es denn so einfach? Fällt es ihnen denn leicht sich authentisch zu verhalten? Einfach loyal und mit sich stimmig sein ist hier die Devise. Das ist leichter gesagt als getan. Individuen sind multipolar angelegt und die Persönlichkeit entwickelt sich ständig weiter. Sich auf die Suche nach der inneren Stimmigkeit, dem inneren Kern zu begeben ist gar nicht so einfach. Innere Widersprüche und Unstimmigkeiten führen oft zu Authentizitätsproblemen und somit zu Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Umfeld. Dieses ambivalente Gefühl und Verhalten muss man nicht ertragen. Es gibt Möglichkeiten, diese innere Pluralität konstruktiv anzugehen. Schulz von Thun hat in seinem Konzept des inneren Teams das Phänomen sehr gut verstehbar und anschaulich dargestellt. Nur wer in seinem „Inneren“ die eigenen Ziele und Vorstellungen beisammen hat und diese ein widerspruchsfreies Ganzes ergeben, kann nach aussen authentisch und situationsgerecht reagieren. Wenn wir in uns hinein hören, finden wir dort selten nur eine einzige Stimme, die sich zu einer bestimmten Situation oder einem Thema zu Wort meldet. In der Regel stoßen wir viel mehr auf verschiedene innere Anteile, die sich selten einig sind und die alles daran setzen, auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen. Ein Miteinander und gegeneinander finden wir demnach nicht nur zwischen Menschen sondern auch innerhalb des Menschen. Obwohl ein zerstrittener Haufen im Inneren überaus lästig und quälend sein und bis zur Verhaltenslähmung führen kann, handelt es sich dabei nicht um eine seelische Störung, sondern um eine ganz normale menschliche Reaktion. Somit bekommen wir es in der Kommunikation nicht nur mit dem Team zu tun, den wir angehören oder dass wir zu leiten haben, sondern auch mit unserem inneren Team. Glaubwürdigkeitprobleme bei Führungskräften und Kommunikatoren entstehen dort, wo nach aussen eine Position vertreten werden muss, die innerlich in einem Widerspruch zu meinen Bedürfnissen und Vorstellungen steht.

Jeder von uns kennt ja Situationen, in denen unsere innere Reaktion nicht einheitlich und klar ist, sondern wir uns innerlich hin- und hergerissen fühlen.

Diese Erfahrung bringt das berühmte Zitat aus Goethes Faust auf den Punkt „zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“.
Dieses Phänomen hat der bekannte Kommunikationspsychologe Schulz von Thun in seinem Modell des „Inneren Teams“ zusammen gefasst. 

Seine Grundthese ist, dass sich die verschiedenen Strebungen und Strömungen in jedem von uns als eine Gruppe innere Teammitglieder begreifen lassen. Demzufolge hat jeder Mensch sein individuelles inneres Team mit mehreren inneren Mitgliedern, die je nach Situation und Kontext in den Vordergrund treten und aktuell präsent sind.

Jedes innere Teammitglied repräsentiert einen Persönlichkeitsanteil und steht für ein Bedürfnis. Diese verschiedenen Teammitglieder können friedlich und konstruktiv zusammenarbeiten, sie können aber auch massive Konflikte miteinander ausfechten.

Auf das innere Team bezogen heißt das: Wenn ich mit mir eins bin kann ich nach außen klar und überzeugend auftreten. Die Team Mitglieder können sich aber auch unterschiedliche Meinungen und Ansichten vertreten und miteinander im Clinch liegen,  was dazu führt dass man- nach außen hin- unklar und widersprüchlich auftritt. Deshalb ist es wichtig, innere Konflikte zu lösen, indem die unterschiedlichsten Anteile mit ihren Botschaften und Bedürfnissen verstanden und integriert werden, um eine Lösung zu finden, die vom gesamten „Inneren Team“ getragen werden können.

Die Herausforderung besteht darin, die geeigneten „inneren Mitarbeiter“ zu einem gegebenen Problem zu identifizieren, zu Wort kommen zu lassen und „zur Zusammenarbeit zu bewegen“ mit den anderen inneren Teammitgliedern. Sich sozusagen glücklich einigen und diese Entscheidung nach außen zu vertreten. Wem das gelingt, der hat einen wichtigen Schritt in Richtung Authentizität unternommen.

Hierzu möchte ich Ihnen eine erlebte Situation schildern. Im Rahmen eines Teamcoachings in einer Klinik, traf ich zufällig eine mir bekannte Chefärztin einer gynäkologischen Abteilung. Sie wirkte gehetzt und abgeschlagen. Da wir uns seit langem kennen, fragte ich sie, ob sie im Stress sei und ob alles in Ordnung sei. Ihre Antwort war ein klares „Nein“. Sie habe am Morgen leider ihren Sohn in seinen Schilderungen über Erlebtes vom Vortag abwürgen müssen, weil sie einen langen OP-Tag vor sich hatte und noch einiges im Vorfeld in der Klinik erledigen musste. Sie habe schon die Enttäuschung im Gesicht des Kindes wahrgenommen und ihr schlechtes Gewissen hätte sich breit gemacht. Aber in Anbetracht ihres vollen Schreibtisches und dem vollen OP-Programm habe sie dieses Gefühl verbannt. Ausserdem hätte dann noch die leitende OP-Schwester ihr Leid über die bestehende Personalsituation geklagt, und dieses Problem hätte sie in diesem Moment garnicht gebraucht. Also habe die die op-Leitung kurzangebunden abgefertigt und wäre dann in den Operationssaal verschwunden . Mittags wäre sie dann noch eine Assistentin verbal härter als nötig angegangen nur weil sie im OP-Flur herumstand. Sie fragte mich mit ernster Miene, was sie da eigentlich mache und war unzufrieden mit sich selbst und  ihre Verhaltensweise gegenüber den anderen Mitarbeitern und ihrem Kind.

Nun ja, sagte ich ihr, vielleicht sei sie ja zuallererst Mensch, dann Mutter und dann erst Chefärztin.

Daraufhin entgegnete sie mir, dass sie dann wohl viele Dinge anders machen müsse.

Wir setzten den Weg gemeinsam fort, und sprachen über Erfolg, Publikationsdeadlines, Muttersein und woran sie erkennen könne, dass sie ihre Sache am Ende gut gemacht habe. Als wie uns verabschieden, teilte sie mir mit ihren Sohn direkt zu fragen wie es in der Schule gelaufen sei und mit der OP-Leitung würde sie auch sprechen.

Nach dem nächsten Teamcoaching Termin in der Klinik suchte ich ihr Büro auf, weil es mich doch interessierte, ob sich etwas verändert hatte. Sie öffnete mir gut gelaunt ihre Tür und sagte, unser Gespräch hätte sie zum Nachdenken angeregt und sie habe einiges verändert. Die Kollegin, die sie auf dem Flur angegangen sei, würde jetzt nach einem klärenden Gespräch ihre Sache motiviert erledigen, die OP-Leitung habe 2 neue Mitarbeiter im OP und mit ihrem Sohn ginge sie regelmässig zum Fahrrad fahren. Seit sie sich regelmäßig selbst hinterfrage und überlege was gerade wirklich wichtig sei, treffe sie ihre Entscheidungen anders. Das Op-Programm laufe immer noch in Plan und ihre Aufgaben würden auch erledigt, aber ihr gehe es besser und das Team würde es auch merken.

Was ist passiert?

Menschen kommunizieren normalerweise all das nach außen, was sie in sich tragen. Speziell für Führungskräfte ist es einer der Aufgaben Stimmigkeit zu transportieren. Verwirrte und ungeduldige Führungskräfte haben mit großer Wahrscheinlichkeit verwirrte und unruhige Teams. Ausgebrannte Chefs haben eine gute Chance, erschöpfte Teams zu zu führen. Das grundlegende Werkzeug einer Führungskraft ist jedoch in letzter Konsequenz die Führungskraft selbst. Mit allem was sie hat, ist oder kann. Natürlich spielen das Umfeld und die Rahmenbedingungen, in denen Führungskräfte arbeiten, eine Rolle. Letztlich ist es jedoch die Führungskraft selbst, die darüber entscheidet, wie sie mit alldem umgeht, was täglich an sie herangetragen wird und was sie an sich heranlässt. Dazu gehört auch, wie sie u.a. mit dem „Scheitern“ umgeht. Scheitern gehört zum Führungsalltag dazu und zwar häufiger, als dies von außen wahrnehmbar  und wahrgenommen wird. Führungskräfte, die sich selbst und was ihnen wirklich wichtig ist, ignorieren, übergehen oder verraten, stehen sich höchst effizient selbst im Weg. Was ist wichtiger: 3 Minuten freundlicher Worte mit dem eigenen Kind oder 3 Minuten früherer Start im OP? Den Platz in der Seele zu haben, um eine fähige Mitarbeiterin echtes Gefühl entgegen zu bringen oder 2 Minuten früher am Schreibtisch zu sitzen? In Anbetracht der Summe aller zwei oder 3 Minuten Sequenzen im vollen Führungsalltag sind diese Fragen natürlich nicht gleich und leicht  zu beantworten. Und genau deshalb kommt man als Führungskraft letztlich nicht darum herum sich diese Fragen zu beantworten. Denn die Minuten summieren sich, auch jene, in dem man gegen die eigene Intuition, Menschlichkeit und Authenzität lebt und arbeitet. Wer allzu viele Minuten gegen das lebt und arbeitet, was er im innersten trägt, fängt an zu kämpfen, gegen sich, die anderen, die eigene Familie und die Mitarbeiter. Kämpfen bedeutet sich einschränken, Entscheidungen werden schlechter, Fehler summieren sich, Ehen gehen in die Brüche, Mitarbeiter fühlen sich nicht wahrgenommen und gehen, Patienten werden als nervig wahrgenommen und das Leben ist und wird immer schwerer. Wer sich dann noch mehr anstrengt und kämpft, ist vermutlich auf einem sicheren Weg, dauerhaft als Chef zu scheitern. Authentisch zu fühlen heißt, sich selbst immer wieder zu fragen, was jetzt im Augenblick gerade wichtig ist, sich selbst zu vertrauen und zu glauben, was als Idee oder Gefühl entsteht. Authentizität ist aber auch ein Problem der Wahrnehmung von anderen Personen. Authentisch kann man nicht nur sein, sondern es ist eine Qualität, die man von den Kommunikationspartnern zugeschrieben bekommt und das Ergebnis von erfolgreicher Kommunikation.

Es wahrzunehmen und in überlegter Weise danach handeln. Authentisch zu sein heißt nicht, den Mitarbeiter verbal anzugehen, weil sich das gerade richtig anfühlt. Authenzität im Führungsalltag bedeutet auch nicht, morgens in Ruhe zu verschlafen, weil einem gerade danach ist. Authenzität hat nichts mit Nachlässigkeit zu tun oder mit dem Drang sich gehen zu lassen  Es hilft, als Führungskraft zu verstehen, dass die Welt größer ist als der eigene Job, ohne die eigene Bedeutung zu unterschätzen. Gute Führungskräfte sind relevant für den Erfolg eines Unternehmens und die Zukunft der Mitarbeiter und Patienten. Letztlich führt das Leben immer mit. Authenzität und Klarheit hilft, genau dies wahrzunehmen und zum Bestandteil der täglichen Arbeit zu machen. Und genau das ist es, was Führung zu einer großartigen Aufgabe macht: man arbeitet immer auch an und mit sich selbst – und das mitten im Leben.