Immanuel Kant und die Menschenwürde
Dinge sind wertvoll, wenn wir sie brauchen können. Schuhe sind zum Beispiel wertvoll, wenn sie passen und man gut in ihnen laufen kann. Wenn die Schuhe kaputt sind und niemand mehr in ihnen laufen kann, haben sie keinen Wert mehr.
Bei Menschen ist das anders. Darum sagt Kant:
Alles hat einen Wert, der Mensch aber hat eine Würde. Was eine Würde hat, das ist immer wertvoll. Ein Mensch ist immer wertvoll. Auch wenn er krank ist oder nicht arbeiten kann.
Die Würde hat es nicht einfach…
Dass die Frage der Würde kompliziert ist, lernt man sehr früh. Einerseits geht es darum, auf seinem Recht der Befriedigung der Grundbedürfnisse zu bestehen, aber andererseits darf man die Kugel Vanilleeis nicht vom Boden auflecken, wenn sie einem runter gefallen ist – selbst wenn man kein Geld mehr hat, um sich eine neue zu kaufen. Man begreift also schon als Kind, dass es darauf ankommt, wie man seine Bedürfnisse auslebt und das ist eine Frage der Ehre ist, im Zweifelsfall stolz zu verzichten.
Daraus folgt, dass es einer gewissen Unabhängigkeit seiner Bedürfnisse bedarf, um wirklich freie Entscheidungen zu treffen. Nur wer nicht der Sklave seine Bedürfnisse ist, kann würdig entscheiden. Es versteht sich von selbst, dass ich als Erwachsene die Spannung zwischen einem sehnlichsten Wunsch und seiner Nichterfüllung aushalten kann. Jedoch sind den Menschen oft die eigenen Wünsche peinlich, nur weil sie unerfüllbar sind. Sie glauben, sie machen sich lächerlich, wenn sie sich etwas wünschen, was sie wahrscheinlich nicht bekommen können. Doch sich für seine Wünsche schämen und sich selbst verachten ist im Grunde das selbe. Würde heißt, sich im entscheidenden Moment zu sich selbst zu bekennen – und was gibt es notwendigeres als die eigenen Wünsche?
Nur wer denkt, dass er es nicht wert wäre seine Wünsche erfüllt zu bekommen, braucht den Beweis in der Praxis. Doch je mehr man andere Menschen zwingen will meine Wünsche zu erfüllen, desto weniger wollen sie einem das Gewünschte geben. Kein Wunder, dass man irgendwann auf die Idee kommt, seine Wünsche und Bedürfnisse lieber zu verleugnen, damit man nicht eine Abfuhr nach der anderen kassiert.
„Du bist es wert, dass deine Wünsche erfüllt werden“ ist eine fatale Botschaft, die uns in der Motivationsliteratur und im Alltag ständig begegnet. Das Problem dabei ist: man knüpft früher oder später seinen Selbstwert an den Umstand, ob das gewünschte tatsächlich eintritt – und das ist würdelos. Denn darüber haben wir keine Macht. Für jemanden, der an seinem Selbstwert zweifelt, klingt es paradox, aber frei von seinen Bedürfnissen wird nur der jenige, der sie sich auch zugesteht.
Sie offen zu äußern ist ein Ausdruck meiner Freiheit, ob ich sie dann erfüllt bekomme ist nebensächlich, manches kann man eben nicht erzwingen. Da geht es beim Kampf um die eigene Würde auch nie um das Ergebnis, wichtig ist nur, dass man es versucht.
Die Würde hat es nicht eilig
Da es bei der Würde nie darum geht, wie eine Situation für die anderen aussieht, sondern um die eigene innere Haltung, ist es im Zweifelsfall auch nicht schlimm, wenn man Jahre braucht, um die richtige Entscheidung zu treffen. Hauptsache, man trifft sie. Die Fragen der Würde bleiben immer aktuell, und nie ist es zu spät, um sich zur eigenen Würde zu bekennen.
Würde und Vergebung- eine treue Beziehung
Man sollte sich immer verzeihen, dass man so lange gezögert hat, schließlich hatte man bestimmt seine Gründe. Jeder weiß, dass man u.a. mit größten Widerständen rechnen muss, sobald man beginnt, mehr Respekt einzufordern. Die Umgebung hat sich schließlich daran gewöhnt einen auszunutzen, und Menschen tun einiges, um ihre Gewohnheiten und die daraus resultierenden Vorteile zu verteidigen. Darauf will man gut vorbereitet sein, mit Ultimaten kann man nämlich wenig Eindruck machen, wenn das Gegenüber weiß, dass mit den angedrohten Konsequenzen nie zu rechnen ist. Nicht immer hat man im Leben die Handlungsfreiheit, die man sich wünscht. Dabei die eigene Würde nicht aus dem Blick zu verlieren ist bereits die Verteidigung derselben. Sobald ich erkenne, dass ich besseres verdient habe, bin ich schon ein anderer geworden.
Verinnerlichen Sie vielmehr:
„ich behaupte mich, ich bin selbstbewusst!“
„Ich bin okay so wie ich bin!!“
„Ich bin wertvoll!“