Es ist ein Satz, den jeder schon mal gehört hat. Gleichzeitig ist es ein Satz, den niemand hören will: „Entspann dich mal!“ Denn: Was zur Hölle soll diese Aufforderung bezwecken? „Dass du dich entspannst“, würde der Superschlaue entgegen,der mir den Satz gerade mal wieder hingeworfen hat wie einer Hyäne ein Stück rohes Kadaver. Erwartungsfroh, als sollte und würde  mich jetzt das jetzt besänftigen. Als sei „Entspann dich mal“ viel mehr als nur eine freche Aufforderung. Die Lösung nämlich, der Schlüssel zur Gemütsregulation. Danke, du Meister der Emotionen“, möchte ich schnippisch-ironisch erwidern. Und mich dann noch mehr aufregen, als ich es vorher angeblich schon getan habe. All meine Wut konzentriert sich jetzt auf diesen Menschen. Dieser Satz kommuniziert so viel Hohn, dass er eigentlich schon längst aus unserem Alltags-Vokabular verbannt gehört. VERBANNT, sage ich. Denn „Entspann dich mal“ meint: „Hey, du wilde, hysterische Furie. Alles ganz easy, ganz locker.“ Die Aufforderung in drei Worten ist schlicht dazu da, sich selbst auf- und den anderen abzuwerten. Erhöht wurde durch den Spruch: der Mensch, der „Entspann dich mal“ rät. Er selbst ist natürlich super chilli und super fly, alles cool bei ihm. Er weiß halt, wie man’s macht; was wichtig ist, was nicht.

Entwertet wurde: einer, der sich mal entspannen soll, weil er gerade vor allem Stress- und Nervfaktor ist. Der TOTAL übertreibt, wo doch alles so voll easy ist und man sich sowas von keine Sorgen machen muss. Die ewige Hinterfragerin.

Vielleicht, liebe „Entspann dich mal“-Benutzer, habt ihr hin und wieder sogar recht. Vielleicht seid ihr im Moment des Gebrauchs dieses Satzes tatsächlich mit einem Menschen konfrontiert, der aus (euch) unerfindlichen Gründen unfassbar aufgeregt ist.

Aber habt ihr schon mal überlegt, dass hinter dieser Aufregung etwas stehen könnte, das nur ihr nicht wahrnehmt? Dass euer Gegenüber nicht vollkommen grundlos wütend oder besorgt ist? Dass euch stattdessen in diesem Moment, pardon, schlichtweg der Horizont fehlt, das eigentliche Problem zu erkennen? Vermutlich nicht.

Und trotzdem nehmt ihr euch heraus, die Situation zu be- und entwerten, anstatt zu fragen: „Was ist gerade das Problem?“ oder meinetwegen auch „Warum regst du dich eigentlich so auf?“ Ihr sagt vielmehr mit einem einzigen Satz, was ihr gerade von dem Verhalten des Gegenübers haltet: dass es aufhören muss. „Entspann dich mal.“ Euch interessiert einfach nicht, woher der Emotionsschwall kommt. Oder ob der Andere seine Emotionen überhaupt selbst als schwierig empfindet.

Richtig wütend macht der Satz dann, wenn es überhaupt erst der „Entspann dich mal“-Befehler war, der die Aufregung verursacht hat

Ihr setzt mit eurem Satz die Grenze, legt fest: „Diese Emotion ist im Rahmen und diese nicht.“ Ob der andere nun findet, dass Entspannung gerade angemessen wäre oder nicht – egal. Hauptsache, ihr sagt ihm, wie er sich zu fühlen hat.

Richtig wütend macht der Satz dann, wenn es überhaupt erst der „Entspann dich mal“-Befehler war, der die Aufregung verursacht hat. Aus Erfahrung würde ich sagen, dass der Satz sogar am Allerhäufigsten in derartigen Situationen fällt.

Wer andere hat warten lassen und dann zurechtgewiesen wird: „Entspann dich mal.“ Wer die Küche nie putzt und jetzt verbal angefahren wird: „Entspann dich mal.“ Wer fremdgeflirtet hat und jetzt verlassen werden könnte: „Entspann dich mal.“

Dazu, liebe Oberratgeber, mal so viel: Die Tragweite eures Fehlverhaltens habt ihr nicht selbst zu bestimmen. Die, so würde ich zumindest vorschlagen, bestimmen im Endeffekt dann doch die Leidtragenden selbst.

„Entspann dich mal“ hat wirklich null Komma null Deeskalatives an sich

Passionierte „Entspann dich mal“-Sager hören nun natürlich sehr ungern davon. Sie finden, dass man hysterische Menschen halt auch mal zurück auf den Boden der Tatsachen holen muss. Vielleicht ist das auch so. Vielleicht brauchen die tatsächlich jemanden, der ihnen sagt, dass das alles nicht so wild ist.

Dafür allerdings gibt auch noch andere mögliche Sätze: „Hey, alles nicht so wild, das schaffst du!“ zum Beispiel. Oder, wenn man es nicht ganz so unpampig hinbekommt, meinetwegen auch: „Halt mal den Ball flach“ oder „Jetzt reg dich nicht so auf“. Aber „Entspann dich mal“ hat wirklich null Komma null Deeskalatives an sich.

Der Satz beweist lediglich, dass der Sprecher nicht willens ist, sich mit den Emotionen des Gegenübers auseinander zu setzen. Dass er andere nur solange ausstehen kann, wie sie negative Gefühle, Ängste, Sorgen, Aufregung abstellen. „Entspann dich mal“, sagt er also, weil er vermutlich findet: Unentspannte Menschen sind nervige Menschen. Dabei scheint er nur leider zu vergessen, dass es jemanden gibt, der noch nerviger ist: Ein Mensch, der anderen sagt, wann sie sich zu entspannen haben.

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