Je geringer ihre Erwartungen, desto größer ihr Glück 🍀 

Silvester 1986. Mein Freund hatte mich ein halbes Jahr zuvor verlassen, und seither driftete ich ziemlich einsam umher. Ich hing in meinem Zimmer ab und verkroch mich hinter meinen Büchern. So konnte es nicht weitergehen! Eine neuer Freund musste her! Das Plakat an meinem Lieblingscafé kündigte eine Mega Silvesterparty an. Voller Erwartung und perfekt gestylt ergatterte ich eine Karte. Heute Abend würde es klappen. Während ich mich möglichst cool, aber wohl ziemlich ungelenkig auf der Tanzfläche bewegte, flog mein Blick von einem Ende des verrauchten Saals zum anderen. Alle hübschen Männer waren mit ihren Mädels da, und wenn sie sich mal eine Sekunde lang aus den Krallen ihrer Freundin lösten und ich dem einen oder anderen ein Lächeln zuwerfen konnte, taten sie so, als wäre ich Luft. Je mehr sich die Stunden dem Jahresende zuneigten, desto stärker fühlte es sich an, als würde man mir langsam, Dreh für Dreh, einen Korkenzieher ins Herz schrauben. Kurz vor Mitternacht verließ ich das Lokal. Der Abend war ein Reinfall.

Das Hirn funktioniert nicht ohne Erwartungen. Im Grunde ist es eine wahre Erwartungsmaschine: wenn wir einen Türgriff betätigen, erwarten wir, dass sich die Tür öffnet. Wenn wir den Hahn aufdrehen, erwarten wir das Wasser herausfließt. Wir erwarten, dass die Sonne am Morgen auf- und am Abend untergeht. All diese Erwartungen sind uns nicht mal bewusst. Die Regelmäßigkeiten des Lebens sind im Hirn festgeschrieben, wir müssen noch nicht einmal aktiv daran denken. Leider generiert das Hirn Erwartungen auch für die unregelmäßigen Situationen des Lebens, wie ich bei jener Silvesterparty schmerzlich erfahren musste. Hätte ich mir nur ein bisschen mehr Zeit genommen, mir meine Erwartungen an jenen Anlass realistisch zu vergegenwärtigen, wäre mir die Enttäuschung erspart geblieben.

Die Forschung bestätigt, dass Erwartungen das Glücksgefühl maßgeblich beeinflussen und unrealistische Erwartungen zu den effektivsten Glückskillern gehören.

Wie geht man also am besten mit Erwartungen um?

Ordnen Sie Ihre Gedanken wie ein Notarzt bei einer Triage. Unterscheiden Sie stets zwischen „ich muss es haben“, „ich möchte es haben“ und ich erwarte es.

Der erste Satz drückt eine Notwendigkeit aus, der Zweite einen Wunsch und der Dritte eine Erwartung.

Zu den Lebensnotwendigkeiten.
Oft höre ich „ich muss diesen Job haben“, „ich muss die Wohnung noch putzen“ oder „ich muss Kinder kriegen“. Nein, müssen sie alles nicht. Sie müssen gar nichts ausser essen, trinken und schlafen. Den wenigsten Wünschen liegen echte Notwendigkeiten zu Grunde. Sagen Sie lieber: „ich möchte den Job haben“, „ich sollte die Wohnung noch putzen“ oder „mein Ziel ist es, Kinder zu bekommen“. Wünsche als Lebensnotwendigkeiten zu sehen macht sie bloß zu einem mürrischen, unangenehmen Mitmenschen. Und es stiftet sie, egal wie intelligent sie sind, zu idiotischen Handlungen an. Je früher sie vermeintliche Lebensnotwendigkeiten aus ihrem Repertoire streichen, desto besser.

Nun zu den Wünschen. Ein Leben ohne Wünsche ist ein verschwendetes Leben. Aber wir dürfen uns nicht an sie ketten. Seien Sie sich bewusst, dass sich ihre Wünsche manchmal nicht erfüllen, denn vieles liegt außerhalb ihrer Kontrolle. Ob sie den Job bekommen werden, darüber bestimmen nebst dem Aufsichtsrat, die Konkurrenz und vielleicht ihre Familie. Lauter Instanzen, die sie nicht komplett unter Kontrolle haben. Dasselbe gilt fürs Kinderkriegen. Die griechischen Philosophen hatten einen brillanten Ausdruck. Sie bezeichnet die Dinge, die wir uns wünschen, als bevorzugte „indifferent“ im Sinne von „unerheblich“. Heißt: ich habe zwar eine Präferenz, aber es ist letztendlich unerheblich für mein Glück.

Nach den vermeintlichen Lebensnotwendigkeiten und den Wünschen kommen wir schließlich zum dritten Punkt der Triage, den Erwartungen. Viele ihrer unglücklichsten Momente schulden Sie schlampig gemanagten Erwartungen– besonders Erwartungen an andere Menschen.

Sie dürfen nicht erwarten, dass sich andere an ihre Erwartungen halten – ebenso wenig wie sie erwarten können, dass sich das Wetter an ihre Erwartungen hält. Ihre Erwartungen haben eine sehr beschränkte Kraft nach außen. Aber eine ungeheure Kraft nach innen. Weil wir so nachlässig mit unseren Erwartungen umgehen, erlauben wir anderen, sie zu beeinflussen.

Wie bildet man stattdessen realistische Erwartungen?

Erster Schritt: vor jedem Treffen, jedem Date, jedem Projekt, jeder Party, jedem Urlaub, jeder Lektüre und jedem Vorhaben trennen sie scharf zwischen Notwendigkeiten, Wünschen und Erwartungen.

Zweiter Schritt: beziffern Sie ihre Erwartungen mit einem Wert zwischen 0 und 10. Erwarten Sie eine Katastrophe (0) oder die Erfüllung eines Lebenstraums(10)?

Dritter Schritt: ziehen Sie zwei Punkte von ihrem Wert ab – und stellen Sie sich gedanklich auf diesen Wert ein. Das ganze Procedere dauert maximal 10 Sekunden. Sich eine Zahl zu überlegen unterbricht den Automatismus, Erwartungen aus dünner Luft zu pflücken. Und sie geben sich damit sozusagen eine Sicherheitsmarge: ihre Erwartungen sind jetzt nicht nur moderat, sondern liegen sogar leicht unter dem angemessenen Wert.

Fazit: wir gehen mit unseren Erwartungen um wie mit Luftballons. Wir lassen sie steigen, immer höher, bis sie schließlich zerplatzen und als schrumpelige Fetzen vom Himmel fallen. Hören Sie auf, Notwendigkeiten, Ziele und Erwartungen in einen Topf zu werfen. Trennen Sie scharf.

Die Fähigkeit, Erwartungen bewusst zu bilden, gehört zum guten Leben.